Gemeinsames Sorgerecht beider Elternteile: Übertragung der Entscheidungsbefugnis für eine mRNA-Impfung von Kindern

OLG Rostock, 10.12.2021, 10 UF 121/21:

Die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Zustimmung zu Impfungen gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 mit einem mRNA-Impfstoff ist bei einer vorhandenen Empfehlung einer Impfung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) und mangels entgegenstehender besonderer Impfrisiken beim Kind auf denjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung befürwortet.

Der Antragsteller (Kindesvater) und die Antragsgegnerin (Kindesmutter) sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe sind die beiden minderjährigen Kinder H. (geboren im Jahr 2005) und M. (geboren im Jahr 2007) hervorgegangen. Die beiden Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt beim Kindesvater. Das Sorgerecht für die beiden Kinder üben die Eltern weiterhin gemeinsam aus. Die Kindeseltern streiten über die Entscheidungsbefugnis für die - vom Kindesvater befürwortete - Zustimmung zur Durchführung von Selbsttests für beide Kinder an den von ihnen besuchten Schulen mit dem AMP Rapid Test SARS-CoV-2 und für die Zustimmung zu einer Schutzimpfung der beiden Kinder gegen das Corona Virus SARS-CoV-2. Die Kindesmutter hat ihre Zustimmung zur Durchführung der Selbsttests auf sogenannte Spucktests beschränkt, die von den Schulen der Kinder nicht zur Verfügung gestellt werden. Daher hat die für die Teilnahme der Kinder am Präsenzunterricht bisher erforderliche Testung der beiden Kinder nicht in der Schule mit von den Schulen kostenfrei zur Verfügung gestellten Tests stattfinden können; die Testungen sind bisher in der Häuslichkeit des Kindesvaters auf dessen Kosten durchgeführt worden. Die Kindesmutter ist bisher auch nicht bereit gewesen, einer Impfung ihrer beiden Kinder zuzustimmen. Mit Schriftsatz vom 20.10.2021 hat der Kindesvater beantragt, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidung (1.) für die Zustimmung zur Testung in der Schule mit einem Selbsttest für H. gegenüber dem Gymnasium ... und für M. gegenüber dem Gymnasium ... mit dem AMP Rapid Test SARS-CoV-2 im Rahmen der 3. Schul-Corona-Verordnung sowie den darauffolgenden zukünftigen Verordnungen und (2.) für die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 für H. und M. vorläufig zu übertragen. Die Kindesmutter hat beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzuweisen. Mit Beschluss vom 02.11.2021 hat das AG im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidung über die Zustimmung (1.) zur Testung in der Schule und (2.) "zu einer Schutzimpfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2" für die minderjährigen Kinder H. und M. "mit einem der beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffe (Comirnaty oder Spikevax) entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut" vorläufig auf den Antragsteller übertragen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass angesichts des Anstiegs der Neuinfektionen in der "vierten Infektionswelle" ein Bedürfnis für eine einstweilige Regelung bestehe. Hiergegen wendet sich die Kindesmutter mit ihrer Beschwerde.

Der 1. Familiensenat des OLG Rostock hat entschieden, dass die elterliche Entscheidungsbefugnis für die Durchführung der Schutzimpfung (Grundimmunisierung) dem - diese befürwortenden - Kindesvater nach § 1628 Satz 1 BGB zu übertragen gewesen ist. Wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, kann das Familiengericht nach § 1628 Satz 1 BGB auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Der Senat erläutert, dass die Entscheidung über die Schutzimpfung der beiden Kinder eine Entscheidung von erheblicher Bedeutung ist, und dass sich die nach § 1628 BGB zu treffende Entscheidung des Familiengerichts gemäß § 1697a BGB nach dem Kindeswohl richtet. Die Entscheidungskompetenz sei dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht werde. Nach Überzeugung des OLG kann bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer Schutzimpfung die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO beim RKI befürwortet, jedenfalls dann übertragen werden, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen. Dies gelte auch für die Durchführung einer Schutzimpfung gegen COVID-19. Der Senat betont, dass die Expertenkommission der STIKO auch bei der Impfung gegen COVID-19 eine sorgfältige Abwägung von deren Nutzen und Risiken für die Gruppe der zwölf bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen vorgenommen hat. Die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis auf den Kindesvater werde auch dem von ihnen geäußerten Willen der beiden Kinder gerecht. Aus Sicht des Senats besteht im konkreten Fall das für eine einstweilige Anordnung erforderliche dringende Bedürfnis aber nur für die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis für die Grundimmunisierung. Soweit der Kindesvater mit seinem Antrag begehrt, ihm auch die Entscheidungsbefugnis für "gegebenenfalls in der Zukunft von der STIKO empfohlene Auffrischungs- bzw. Folgeimpfungen gegen COVID-19" zu übertragen, hat er das für eine einstweilige Anordnung erforderliche dringende Bedürfnis nach Ansicht des Senats nicht schlüssig dargelegt und ist ein solches - derzeit - auch nicht ersichtlich. Nach Auffassung des OLG ist außerdem die Beschwerde der Kindesmutter gegen die Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis für die Zustimmung zur Durchführung des Selbsttest der beiden Kinder in den von ihnen besuchten Schulen nicht begründet, weil der Erlass der einstweiligen Anordnung nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und insoweit ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht.

Nach der hier vom OLG Rostock vertretenen Auffassung ist die Entscheidung über eine Angelegenheit der Gesundheitssorge zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017 - XII ZB 157/16). Das OLG weist außerdem darauf hin, dass die Impfempfehlungen der STIKO in der Rechtsprechung des BGH als medizinischer Standard anerkannt worden sind. Daran nimmt aus Sicht des OLG auch die Einschätzung teil, dass der Nutzen der jeweils empfohlenen Impfung das Impfrisiko überwiegt.

Beschluss des OLG Rostock vom 10.12.2021, Az.: 10 UF 121/21



Eingestellt am 17.02.2022 von W.Magerl
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