EGMR weist Anfechtungsklagen leiblicher Väter ab: Der rechtliche Vater behält das Kind

Ein Mann hat eine Affäre mit einer verheirateten Frau, sie wird schwanger. Nach deutschem Recht kann er nicht rechtlicher Vater des Kindes werden, solange die Vaterschaft des Ehemanns der Frau besteht. Zwei leibliche Väter wollten das nicht akzeptieren und scheitertern nun auch in Straßburg. Die soziale und rechtliche Familie hat Vorrang vor der biologischen Vaterschaft, urteilte der EGMR.

Nicht immer ist der Ehemann einer Frau, der rechtlicher Vater "seines" Kindes ist, dessen wirklicher Vater. Das wussten schon die alten Römer, bei denen die Rechtsregel galt: Der Vater ist immer ungewiss.

Im 21. Jahrhundert hatte nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einmal mehr über die Rechte der Väter zu entscheiden, die ein Kind gezeugt haben. Das deutsche Abstammungsrecht ist möglicherweise altmodisch, aber im wesentlichen europarechtskonform, urteilten die Straßburger Richter und wiesen die Klagen zweier Väter auf Anerkennung ihrer Vaterschaft ab (Urteil vom 22.03.2012, Ahrens gegen Deutschland, Beschwerdenummer 45071/09; Kautzor gegen Deutschland, Beschwerdenummer 23338/09).

Nachdem die Vaterschaft nicht angefochten wurde, ist rechtlich der jeweilige Ehemann der Frau der Vater des Kindes (§ 1592 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Die wirklichen Erzeuger können ihre Vaterschaft zwar anerkennen. Die Anerkennung ist jedoch nach deutschem Recht nicht wirksam, solange die Vaterschaft des Ehemannes besteht (§ 1594 Abs. 2 BGB).

Damit wollte sich einer der Kläger in Straßburg nicht zufrieden geben. Er rügte vor allem eine Verletzung des Rechts auf Schutz seines Familien- und Privatlebens (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK), nachdem die deutschen Gerichte seine Klage auf Anerkennung seiner Vaterschaft und Umgang mit dem von ihm gezeugten Kind abgewiesen hatten.

Im anderen Fall, über den die Straßburger Richter zu entscheiden hatten, klagte der Ex-Mann der Frau, die zwischendurch ihren neuen Partner geheiratet und mit ihm zwei weitere Kinder hat.

Seitensprung und Schutz der Familie aus deutscher Sicht:

Um klare Verhältnisse zu schaffen, ordnet das deutsche Recht ein Kind, das während einer Ehe zur Welt kommt, rechtlich dem Ehemann der Mutter zu. Um diese gesetzliche Vaterschaftszuordnung entsprechend der Realität korrigieren zu können, sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, die Vaterschaft beim Familiengericht anzufechten. Das Verfahren endet mit der Feststellung, dass der Mann, für den eine Vaterschaft kraft Ehe besteht, nicht der Vater des Kindes ist. Anfechtungsberechtigt sind der Mann, dem ein Kind untergeschoben wird, die Mutter und das Kind selbst.

Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahres 2003 (BVerfG, Beschl. v. 09.04.2003, Az. 1 BvR 1493/96, 1724/01) steht auch dem potenziellen leiblichen Vater ein Anfechtungsrecht zu.

Allerdings muss der Liebhaber der Ehefrau an Eides Statt versichern, ihr während der Empfängniszeit "beigewohnt" zu haben, damit nicht leichtfertig solche Anträge gestellt werden. Außerdem muss er der wirkliche leibliche Vater des Kindes sein. Das Kind soll durch die Anfechtung nicht vaterlos werden, wenn die Mutter in der Empfängniszeit mehrere Seitensprünge mit unterschiedlichen Männern hatte.

Vater ist, wer die Windeln wechselt:

Schließlich darf zwischen dem Kind und seinem bisherigen rechtlichen Vater keine "sozial-familiäre Beziehung" bestehen. Hierzu reicht es aus, dass der Vater "für das Kind tatsächlich Verantwortung trägt oder getragen hat" (§ 1600 Abs. 4 S. 1 BGB), regelmäßig also, dass er mit der Mutter verheiratet ist.

Der Gesetzgeber möchte damit die bestehende Familiengemeinschaft schützen. Auch wenn der Ehemann der Mutter nicht der biologische Vater des Kindes ist, soll der Liebhaber der Mutter das familiäre Zusammenleben nicht stören können. Vorrang haben die gelebte soziale Familie und die Sicherheit, die sie dem Kind gibt.

Die Gerichte haben die Anfechtung noch dadurch erschwert, dass der Liebhaber der Mutter konkrete Anhaltspunkte dafür vortragen muss, dass eine sozial-familiäre Beziehung zum rechtlichen Vater nicht besteht. Auch das BVerfG geht davon aus, dass das Elternrecht des leiblichen dem des rechtlichen Vaters an der Beibehaltung seiner Vaterschaft nicht vorgeht. Der Vater, der die Windeln gewechselt und sein Kind nachts getröstet hat, soll "Vater" bleiben dürfen - auch wenn er das Kind nicht "gemacht" hat.

Kein Recht des biologischen Vaters, den rechtlichen zu beseitigen:

Die Straßburger Richter haben in Sachen Anayo./.Deutschland (Urt. v. 21.12.2010, Beschwerde Nr. 20578/07) und Schneider./.Deutschland (Urt. v. 15.9.2011, Az. Beschwerde Nr. 17080/07) zwar abweichend vom deutschen Recht aus Art. 8 EMRK, der das Familien- und das Privatleben schützt, ein Umgangs- und Auskunftsrecht des leiblichen Vaters hinsichtlich seines Kindes entnommen.

Für ein Recht auf Anerkennung der Familie aber reicht allein die biologische Vaterschaft auch nach europäischer Rechtsprechung nicht aus, entschied der EGMR schon im Jahr 2008 Az. 33375/03, Hülsmann./.Deutschland). Dafür braucht es vielmehr ein tatsächliches Zusammenleben. Auch wenn es genügen soll, dass der biologische Vater eine Familie aufbauen möchte, geht das nicht so weit, dass er auch die Vaterschaft des rechtlichen Vaters beseitigen kann.

Zahlreiche europäische Rechtsordnungen lassen anders als das deutsche Recht eine Anfechtung durch den leiblichen Vater zu. Deshalb müssen die Mitgliedstaaten es aber nach Auffassung der Kammer biologischen Vätern nicht ermöglichen, den Status des rechtlichen Vaters anzufechten. Der Liebhaber der Mutter hat also keinen Vorrang vor den rechtlichen Eltern hinsichtlich des Rechtsstatus des Kindes. Es liegt vielmehr im Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten, wann diese die jeweilige Familie vor äußerer Beeinträchtigung schützen.

EGMR: Kein Anspruch des Erzeugers auf Achtung des Familienlebens:

Der EGMR hat entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung die bloße "Erzeugerschaft" nicht unter das europäische Grundrecht auf Achtung des Familienlebens gestellt. Er ist damit der Rechtsprechung des BVerfG, das die biologische, rechtliche und soziale Elternschaft als gleichwertig ansieht, im Ergebnis gefolgt. Auch der Deutsche Anwaltverein hat bereits 2003 die zwischenzeitlich Gesetz gewordene Möglichkeit der Anfechtungsklage des leiblichen Vaters bei bestehender Ehe und während des Zusammenlebens der Ehegatten aus guten Gründen kritisiert.

Im Fall Anayo hatten die Straßburger Richter Deutschland bei der Verweigerung des Umgangsrechts des biologischen Vaters mit seinem Kind Deutschland wegen seines konservativen Familienrechts noch eine Geldzahlung in Höhe von 5.000 Euro auferlegt. Vor der Entscheidung vom Donnerstag fragten sich manche Juristen, ob man künftig für jeden Seitensprung mit Folgen 5.000 Euro bezahlen werde müssen. Straßburg hat anders entschieden.

Allerdings bleibt auch nach deutschem Recht offen, wann eine sozial-familiäre Beziehung zum rechtlichen Vater besteht. Hat dieser tatsächlich längere Zeit Verantwortung für das Kind übernommen, sich aber später von der Mutter getrennt, kann man an der sozialen Familie durchaus zweifeln, selbst wenn er weiterhin Umgang mit seinem Kind hat und auch Unterhalt für dieses bezahlt. Kann dem Ex-Lover der Mutter in diesem Fall das Recht verweigert werden, seine Vaterschaft feststellen zu lassen? Diesbezüglich scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Allerdings geben die heutigen Entscheidungen rechtlichen Vätern Sicherheit, die vielleicht auch im Interesse weiterer, mit der Frau diesmal gemeinsam gezeugter Kinder den Seitensprung verziehen und sogar eine väterliche Beziehung zu dem "Kuckuckskind" aufgebaut haben. Jedenfalls insoweit ist der Familienfrieden zunächst gesichert.

Quelle: Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz in LTO vom 22.03.2012



Eingestellt am 12.04.2012 von W.Magerl
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